Das barocke Herrenhaus Cromford mit seinen beiden Flügeln und dem Mittelrisalit (erbaut 1782/84) war die Schaltzentrale eines der bedeutendsten Unternehmen des ausgehenden 18. und beginnenden 19. Jahrhunderts. Hier wohnte gleichzeitig eine der führenden Fabrikantenfamilien ihrer Zeit.
Von seinem Kontor aus leitete der Industriepatriarch Johann Gottfried Brügelmann die erste mechanische Spinnerei außerhalb Englands, führte Zweigunternehmen und tätigte Geld- und Warengeschäfte mit der ganzen Welt.
Im Privilegantrag vom 24. November 1783 ist von mehr als einem neuen Gebäude die Rede. Brügelmann vermerkt: „Daselbst auch beikommendem Zeugnis dortigen Magistrat diesen Sommer bereits zwei große Gebäude errichten lassen, und mit welchen ich künftigen Frühjahrs fortzufahren gedenke.“ (Öde Gegend 1991, S. 141) Bei einem dieser Gebäude handelte es sich um die Fabrik. Welches aber war das andere?


Die Datierung – eine Indizienaufnahme

Eine Indizienaufnahme kann diese Frage beantworten helfen. Der Erbpachtvertrag mit dem Grafen von Spee wurde nicht in aller Eile abgeschlossen. Brügelmann dürfte bereits vor 1783 Pläne für eine Fabrik erstellt, diese jedoch noch nicht umgesetzt haben. Erst als er sich sicher sein konnte, dass seine Maschinen funktionieren und feines Garn produzieren würden, musste alles schnell gehen. Eine Zeile aus dem Pachtvertrag mit Spee hinsichtlich der Nutzung der Hauser Mühle lautet: „(...) auf dieser Stelle das vorhabene Fabrique Hauß, Müllers Behausung, Scheun und Stallung angelegt werden.“ Bringt man diese Bemerkung mit der aus dem Privilegantrag in Verbindung, ist der erste Hinweis auf das Wohnhaus von Brügelmann – dem Müller oder Mühlenbetreiber – als zweitem Bau gegeben, der bereits 1783 und 1784 errichtet wurde, denn auf Nebengebäude wird sich der Privilegantrag nicht bezogen haben. Brügelmann – so viel steht fest – wollte von Anfang an sein Ratinger Projekt, die erste Fabrik auf dem Kontinent, persönlich betreuen. Dass er dazu in Cromford ein Wohnhaus benötigte, ist evident. Zumal der Vergleich mit den oben genannten Beispielen für komplexe Werkbauten aus Vaals für die v. Clermonts (1764), aus Eupen für die Rehrmanns (1724) und Grand Rys (1757) und aus Burtscheid für die v. Loevenichs (1770er) zeigt, Werk- und Wohnhaus wurden als Ensemble gedacht und gegebenenfalls entsprechend ergänzt. Noch verstand sich der Entrepreneur, d.h. der Fabrikherr, als Teil und Meister seiner „Fabrique“, so wie es der Pachtvertrag zwischen Brügelmann und dem Grafen von Spee zum Ausdruck bringt.
Es gibt aber noch weitere Hinweise darauf, dass das Herrenhaus zeitgleich mit der ersten Fabrik in Angriff genommen wurde. In den Fundamenten der westlichen Haushälfte und im Mauerwerk der östlichen wurden bei den Sanierungsarbeiten 2010 dieselben schnell gebrannten Ziegel entdeckt, wie sie im neuen Werkbau von Brügelmann 1783/84 Verwendung fanden. Auch der Schlussstein über dem Eingangsportal zur Hofseite zeigt das Jahr 1784. Zufälle? Sicher nicht. Schließlich deutet auch die einheitliche Traufenhöhe von Fabrik und Herrenhaus auf eine Gesamtplanung hin, denn das späte Barock liebte eben solche Symmetrien.

Doch wie lässt sich dann erklären, dass das Gebäude nachweislich in zwei Bauphasen errichtet wurde und mindestens eine Planänderung erlebt hat? Zunächst: Betrachtet man das Gebäude genau, wird ersichtlich, dass sich die Fensterlaibungen der westlichen und der östlichen Haushälfte unterscheiden – in Höhe und Form. Auch wird deutlich, dass die Raumdisposition der einen nicht mit der anderen übereinstimmt – und dies nicht nur mit wenigen, sondern mit gravierenden Abweichungen, was sich einem an den Idealplan eines ‚Maisons de plaicance’ angelehnten Bau eigentlich verbieten müsste. Aber welche Erklärung lässt sich dann finden?

Als sicher kann gelten, dass beide Bauteile in kurzer Folge errichtet wurden. Begonnen wurde das Herrenhaus mit der westlichen Hälfte. Dies legt die Formensprache und die Raumanordnung nahe, die an ein einfaches bergisches Bürgerhaus erinnert. Dann aber, vermutlich im Winter 1783/84 in der Baupause von der Brügelmann in seinem Privilegantrag berichtet, muss es zu einer massiven Planänderung gekommen sein. Der Fund einer Treppe in den Keller unter dem heutigen Nebeneingang auf der Hofseite sowie der von älteren Fundamentresten bei den Sanierungsarbeiten 2010 legt eine Theorie nah:
Brügelmann ließ zunächst mit dem heutigen Ostflügel ein Gebäude auf den Fundamenten eines älteren Mühlenbaus errichten. Die Kellertreppe, das zeigen die Grabungen, führte im graden Lauf in das Untergeschoss. Der Aufgang in das etwas erhobene Erdgeschoss musste also von rechts wie von links zur Eingangstür führen. Solche Treppenlösungen finden sich unter anderem am Haus Troistorff in Monschau, das ebenfalls 1783 erbaut wurde. Hier finden sich im Detail ähnliche Lösungen, wie sie sich auch in Ratingen nachweisen lassen – von der Verwendung von Blaustein zur im Keller liegenden Küche bis hin zu den verwendeten Ausformungen der Türblätter. Eine ähnliche Lösung für die Gesamtanlage fand der Architekt des Hauses Simons in der Alexanderstraße in Elberfeld. Anders als in Monschau, aber ähnlich zum Bau in Elberfeld für den Seidenfabrikanten Simons von 1780, stellte der heutige Ostflügel nur einen Risaliten des geplanten Wohnhauses dar, so die These. Der von der Parkseite betrachtet linke, nie gebaute Flügel hätte die Verbindung zur Fabrik geliefert und sicherlich in der Art des Roten Hauses in Monschau das Kontor aufgenommen. Und an eben einem solchen Kontor hätten dann die Arbeiter jeden Tag über die Treppe unter dem abgeschleppten Dach diesseits des Torbogens vorbei gemusst, wenn sie ihre Arbeitsplätze erreichen wollten. Das Kontor wäre zu einem perfekten Ort der Arbeitszeitkontrolle geworden. Ob dem Symmetriegedanken des Barock folgend auch ein rechter Flügel geplant war, ist nicht mehr zu klären, denn hier steht heute der 1784 errichtete Mittelrisalit des Herrenhauses; es ist aber zu vermuten. Der heutige Mittelrisalit ist im Detail stilistisch eng mit dem Haus Lebach, ebenfalls in Elberfeld, verwandt (um 1783). Insbesondere die Treppengeländer und Handläufe sprechen eine deutliche Sprache. In der Grunddisposition des Hauses und in seinem äußeren Erscheinungsbild mit den heute existierenden beiden Flügeln und dem Mittelrisalit ähnelt das Herrenhaus Cromford dem um 1780 errichteten Schloss Schlenderhan im Erftkreis, das Franz Arnold Raitz von Frentz errichten ließ. Frentz war Kurpfälzischer Rat und Amtmann zu Bergheim und in diesen Funktionen sicher mit dem Hofkammerrat Graf von Spee bekannt, der Brügelmann schon zu seinem Architekten Flügel verholfen hatte.


Die Frage nach dem Architekten

Für alle genannten Bauten wird der Architekt Michael Leydel genannt, der auch für die Seidenfabrikanten Friedrich und Heinrich von der Leyen in Krefeld 1777 bis 1780 an Werk-, Lager- und Wohnhäusern gearbeitet hatte. Wie Brügelmann war der 1749 geborene und im Januar 1782 gestorbene Leydel Freimaurer; der eine in Düsseldorf, der andere in Köln. Leydel stammte aus einer weit verzweigten rheinischen Architektenfamilie – Fabrikanten von Monschau bis Elberfeld, von Krefeld bis Mühlheim bei Köln schenkten ihm ihr Vertrauen. Auch der Adel versorgte das Talent mit Aufträgen.

Aber: Starb Leydel nicht bevor Brügelmann mit seinen Bauten in Ratingen begonnen hatte? Warum sollte man ihn dann als Architekten nennen, warum ihn als Urheber der Pläne und vor allem der Planänderung anerkennen? Hierfür sprechen wieder Indizien. Die Hinweise, die Clara Bettina Schmidt in ihrer Publikation „Michael Leydel – ein Architekt bürgerlichen Bauens in der Zeit der Aufklärung“ aus dem Jahr 1997 sammelte, sprechen da eine ausreichend eindeutige Sprache. Sie müssen nur genauer auf die Anlage in Ratingen bezogen werden. Brügelmann hat das Projekt ‚Aufbau einer Fabrik’ lange vorbereitet – sicher nicht nur in Hinblick auf die Maschinen. Zunächst dürfte Brügelmann, der ja noch in Elberfeld wohnte, seinen neuen Bau mit Leydel traditionell geplant haben, die Macht seiner Maschinen – in der ersten Stufe immerhin 1600 Spulen – noch nicht einschätzen könnend. Das Wohnhaus des „Mühlmeisters“ wäre ein klassisches bergisches, bürgerliches Unternehmerhaus ohne besondere Formen der Eigendarstellung geworden. Dann aber kam der Sinneswandel. Das Herrenhaus Cromford übernimmt nun adelige Reprä sentationsmuster und verknüpft diese mit bürgerlichen Elementen, wie z.B. einem Festsaal in der ersten Etage statt im Erdgeschoss, ganz wie es die großen Aachener, Monschauer und Eupener Unternehmer in ihren Häusern vorgemacht hatten; oder auch die Verknüpfung von Kontor und Wohnhaus in einem Schlossbautyp, der eigentlich ganz dem Vergnügen gewidmet war.
Michael Leydel starb jedoch im Januar 1782, gerade einmal 33 Jahre alt, aber sein engster Mitarbeiter Kaspar Hermkes aus den Jahren 1778 bis 1781, der anschließend Neusser Stadtbaumeister wurde und dennoch an einigen Projekten von Leydel mitarbeitete, versuchte sich nach 1782 in der Fortführung einiger Aufträge. Hermkes könnte demnach Brügelmann durchaus von einer Änderung der Pläne überzeugt haben, indem er ihm zu einer repräsentativen Residenz nach dem Vorbild des Schlosses Schlenderhan riet, das sein ehemaliger „Chef“ Leydel entworfen hatte. Der ehemals geplante und ausgeführte Mittelrisalit wurde so zum Ostflügel, ein neuer, größerer Zentralbaukörper kam in Richtung Westen hinzu, ebenso wie der Westflügel selbst. Zu lösen war nur noch das Problem der bereits angelegten Arbeitertreppe in der „Alten Fabrik“, die eine Verbindung zum Kontor brauchte. Mit Hilfe einer auf dem Neubauer Plan eingezeichneten Brücke zwischen dem ersten Obergeschoss des Herrenhauses und der zweiten Etage der Fabrik war eine Lösung gefunden. Die Baulücke, die der Abbé Biarelle noch 1797 sah und beschrieb, wurde erst mit dem Kontortrakt von 1799 geschlossen. Dass Hermkes in Cromford als Architekt arbeitete, legt übrigens auch seine detaillierte Kenntnis der Maschinen und ihrer Funktion nahe, die er 1785 – also nach Abschluss der Baumaßnahmen in Ratingen – offenbarte, als er sich für den Unternehmer Paul Maaßen einsetzte, der in seiner Stadt eine mechanische Spinnerei nach dem Vorbild Brügelmanns errichten wollte.


Das Herrenhaus – eine Unternehmerresidenz

Das Herrenhaus in Ratingen sucht seinesgleichen. Es stellt einen neuen Typ des Unternehmerwohnhauses dar, der mit dem Begriff „Herrenhaus“ nur unzureichend beschrieben ist. Schließlich deutet dieser Begriff eher auf ein Landgut, als auf ein Wohn- und Kontorgebäude mit angegliederter Fabrik hin. Als „Unternehmerschloss“ ist es ebenfalls nicht wirklich gut charakterisiert, vermutet man doch hinter einem solchen den Landsitz, den sich vor allem im 19. Jahrhundert vermögende Industriebarone bauen ließen. Der Vorschlag „Unternehmerresidenz“ versucht Wohnen und Arbeiten, Repräsentation und Zurückhaltung in Einklang zu bringen. Doch ganz gleich wie man Brügelmanns Haus auch benennt, es hatte wie der Name „Cromford“ mehr als eine Funktion. Mit dem repräsentativen Erscheinungsbild zusammen mit englischem und französischem Park und dem prachtvollen Gartensaal vermittelte es den Eindruck von Wohlstand und Solvenz, aber in der zurückhaltenden Formensprache der Architekturdetails Sparsamkeit – wichtige Eigenschaft für einen Kaufmann, Mühlenmeister und Fabrikbesitzer, der auf dem Weltmarkt agierte, sich zugleich als Protagonist einer neuen Elite betrachtete und auch so handelte. Ebenso verweist der Name „Cromford“ nicht einfach nur nach England und einen wie auch immer gearteten Vorbildcharakter der Insel. Der Name steht in der Tradition von Handelsbezeichnungen der Textilindustrie, die an die Herstellungsorte gebunden waren. Cromford – jetzt ist das in Derbyshire gemeint – stand bereits für eine besondere Qualität von Garn, dessen Herstellung maschinell war. Es war ein Markenname, den sich Brügelmann zu eigen machte.


Die Ausstellung

Drei Generationen Familiengeschichte um 1800! Die Brügelmanns lebten in dramatischen Zeiten und an einer Epochenschwelle: Sie erlebten den Untergang des »ancien régime«, die Französische Revolution, den Aufstieg und Fall Napoleons und die Machtverteilung eines neuen Europa nach dem Wiener Kongress.

Die einzelnen Biografien der Fabrikantenfamilie stehen für den Wandel des Bürgertums in diesen Zeiten der politischen und wirtschaftlichen Umbrüche. Die dritte Generation stellte um 1850 wieder einmal die Weichen für eine neue Zeit. Nicht nur die Männer, sondern auch die Frauen der Familie Brügelmann hatten ihren Anteil am Erfolg des Unternehmens.

In 14 Räumen mit einem innovativen Konzept erzählt die im Jahr 2010 eröffnete Ausstellung im Herrenhaus von den Geschehnissen. Dazu wurden die Salons, Kabinette und Kammern entsprechend ihrer Funktion und den ihnen zugeordneten Familienmitgliedern in Teilen rekonstruiert und möbliert. Die Geschichte wird belegt und erlebbar.

Im Erdgeschoss wird die Lebenswelt Johann Gottfried Brügelmanns und seiner Frau Anna Christina um 1800 ausgebreitet. Der ersten Stock bietet einen Einblick, wie die zweite und dritte Generation lebte und arbeitete.

Das Jahr 1821 bietet die Folie, vor die das Hauspersonal im zweiten Stock in den Mittelpunkt gerückt wird. Zwischen Gartensaal und Schlafzimmer, zwischen bürgerlicher Repräsentation und Familienleben wird der Bogen gespannt.

Mehr als 250 Exponate auf über 350qm im Herrenhaus laden zu einer Entdeckungsreise in die Welt einer der wichtigsten Unternehmerdynastien der Rheinlande ein!